frühchristliche Architektur: Rom, Ravenna, Konstantinopel

frühchristliche Architektur: Rom, Ravenna, Konstantinopel
frühchristliche Architektur: Rom, Ravenna, Konstantinopel
 
Die Geschichte der frühchristlichen Architektur, insbesondere des Kirchenbaus, wird erst seit der offiziellen Anerkennung des Christentums unter Konstantin dem Großen fassbar. Für die vorangehenden Jahrhunderte kann die Existenz und Ausstattung gottesdienstlicher Versammlungsräume überwiegend nur aus schriftlichen Quellen erschlossen werden. Lediglich in Dura-Europos, einer 256 von den Persern zerstörten Grenzstadt am Euphrat, wurden Reste einer »Hauskirche« des 3. Jahrhunderts ausgegraben. Auch in Rom existierten im 2. und 3. Jahrhundert zahlreiche christliche Versammlungsstätten, die zumeist in privaten Häusern untergebracht waren; die Namen ihrer vermeintlichen Besitzer leben bis heute in den Patrozinien der alten »Titelkirchen« fort. Mit dem Ende der Verfolgungszeiten wurde der Bau von Bischofs-, Gemeinde- und Märtyrerkirchen sowie von Baptisterien öffentliche Angelegenheit. Kaiser Konstantin selbst förderte als Stifter und Auftraggeber zahlreicher Kirchen in Rom und im Heiligen Land, durch Grundstückszuweisungen und Geldspenden sowie durch die Zuwendung kostbarer Baumaterialien und prächtiger Ausstattungsgegenstände den Kirchenbau maßgeblich. In Verbindung mit Klerikern und begabten Architekten wurden aus dem überlieferten Formenvorrat der römischen Profan- und Sakralarchitektur neue Bauideen entwickelt, deren künftige Leitform die christliche Spielart der Basilika werden sollte.
 
Der dem Kaiser nahe stehende Bischof Eusebius von Caesarea gab in einer 317 anlässlich der Kirchweihe von Tyros gehaltenen Rede eine anschauliche Beschreibung der christlichen Idealbasilika: Demnach war ihr ein von Säulenhallen umgebener Hof, das Atrium, vorgelagert. Drei mit Bronzetüren verschließbare Portale führten in die Kirche, deren Innenraum durch Säulen in ein überhöhtes Mittelschiff mit Fenstergaden und zwei Seitenschiffe unterteilt war. Am westlichen Ende des Mittelschiffs befand sich, durch einen Triumphbogen betont, die halbrunde Apsis mit dem Thron für den Bischof in der Mitte und den Bänken für die Presbyter und Diakone. Davor stand, durch Gitter abgetrennt, das Allerheiligste mit dem Altar. Für alle Bauglieder hatte man in Tyros kostbarste Materialien verwendet, für die Dach- und Deckenbalken etwa Zedern aus dem Libanon. Die Schilderung Eusebius' enthält zugleich wesentliche Elemente der allegorischen Deutung des Gebäudes und seiner einzelnen Bauteile: Das »königliche Haus« und die darin versammelte Gemeinschaft der Gläubigen seien geistiges Abbild des »Himmlischen Jerusalem«. Christus selbst walte als Hohepriester am Altar. Den Ungetauften entspreche der Platz in den Seitenschiffen, wohingegen die Getauften im Mittelschiff weilen dürften, wo ihnen aus den lichtdurchfluteten Fenstern göttliche Erleuchtung zuteil werde.
 
Die dreischiffige Kirche von Tyros stellt gewissermaßen den Normaltypus der christlichen Basilika dar. In Rom entstanden im ersten Viertel des 4. Jahrhunderts zwei weitere Varianten: die fünfschiffige Basilika und die als römische Sonderform geltende »Umgangsbasilika«. Am Südrand der Stadt, auf kaiserlichem Grund und Boden und auf dem Gelände einer geschleiften Kaserne, errichtete Konstantin die fünfschiffige Basilika des Salvator Christus, die Kathedrale des römischen Bischofs, die seit dem 7. Jahrhundert San Giovanni in Laterano genannt wird. Die Lateranbasilika galt als »Mutter und Haupt« aller Kirchen Roms und des ganzen Erdkreises; sie wurde Vorbild für zahlreiche kaiserliche und bischöfliche Stiftungen im spätrömischen Imperium.
 
Wenig später wurde an der Via Appia die Basilica Apostolorum (heute San Sebastiano in Catacumbas) errichtet. Von der Verehrungsstätte der Apostel Petrus und Paulus, die sich zuvor an dieser Stelle befunden hatte, zeugen die Reste einer ausgegrabenen Feierhalle mit zahlreichen Kritzeleien, in denen immer wieder die Apostelfürsten angerufen werden, und eines abgesonderten Kultraums. In konstantinischer Zeit wurde die Apostelkultstätte zugeschüttet und darüber die »Umgangsbasilika« erbaut. Kirchen dieses Typs dienten der Märtyrerverehrung und dem Totenkult. Die zahlreich angebauten Privatmausoleen und die im Innern aufgedeckten Gräber belegen den Wunsch, in der unmittelbaren Nähe der Heiligen bestattet und ihrer Fürbitte teilhaftig zu sein. Eine weitere Umgangsbasilika entstand in der Nachbarschaft der Katakombe der heiligen Agnes. An ihrer Südflanke errichtete Constantina, die Tochter Konstantins, ihr prächtiges Rundmausoleum, wo sie 354 in einem monumentalen Porphyrsarkophag beigesetzt wurde. Die Verbindung von Rundmausoleum und Umgangsbasilika in unmittelbarer Nähe einer durch Heilige ausgezeichneten Katakombe ist in Rom mehrfach belegt.
 
Beim Bau des neuen Petersdoms im 15. Jahrhundert wurde die über dem vermeintlichen Grab des Apostels Petrus errichtete Basilika niedergelegt; die beim Abriss angefertigten Zeichnungen und Beschreibungen haben jedoch eine lebendige Vorstellung von ihrer Größe und Ausschmückung bewahrt, weshalb es möglich ist, die gesamte Anlage zu rekonstruieren. Alt-Sankt Peter war eine fünfschiffige Basilika mit Querhaus und Atrium. Der Bau wurde ab 324 über der zugeschütteten Vatikanischen Nekropole errichtet und diente in erster Linie dem Märtyrerkult, der sich um die Verehrungsstätte des Petrus rankte. Erst im hohen Mittelalter übernahm die Petrusbasilika dann die Funktion der römischen Papstkirche.
 
Santa Sabina, die dreischiffige Basilika der heiligen Sabina auf dem Aventin, zählt zu den besterhaltenen römischen Kirchen. Unter Papst Cölestin I. wurde sie wohl an der Stelle einer älteren Hauskirche errichtet. Ihr schlichtes Ziegelmauerwerk ist kennzeichnend für das äußere Erscheinungsbild frühchristlicher Kirchen. Die dichte Reihe großer Fenster im Obergaden verleiht dem breiten Mittelschiff den Charakter einer lichtdurchfluteten Halle. Die Säulen stammen von einem älteren römischen Tempel; ihre korinthischen Kapitelle tragen Arkaden, die mit Inkrustationen reich verziert sind. Das ursprüngliche Apsis- und Triumphbogenmosaik ist verloren, die Abschrankung stammt aus dem 8. Jahrhundert. Das bedeutendste Ausstattungsstück der Kirche ist die gegen 430 geschaffene zweiflüglige Holztür, deren ursprünglich 28 Paneelreliefs mit alt- und neutestamentlichen Szenen geschmückt sind.
 
Besonders gut lässt sich die Entwicklung des christlichen Kirchenbaus in Ravenna verfolgen, wo zwischen 400 und 550 in dichter Folge zahlreiche Basiliken entstanden. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts errichtete Bischof Ursus eine fünfschiffige Kathedralkirche, von der allerdings kaum Reste erhalten sind. Als erste kaiserliche Stiftung entstand gegen 426 auf Veranlassung Galla Placidias San Giovanni Evangelista, die Basilika des Evangelisten Johannes der Evangelist. Die gut erhaltene Ostpartie zeigt die wohl von Vorbildern in Konstantinopel angeregte, außen polygonal ummantelte und von seitlich vorspringenden Pastophorien eingerahmte Apsis. Teil der ersten ravennatischen Bischofskirche war das oktogonale Taufhaus, das »Baptisterium der Orthodoxen«; es wurde unter Bischof Neon 458 erhöht und im Innern mit einer Flachkuppel versehen sowie mit Inkrustationen, Stuckreliefs und Mosaiken reich ausgeschmückt.
 
Seine größte Blüte erreichte der ravennatische Kirchenbau nach dem Ende der Ostgotenherrschaft (540) unter Bischof Maximianus von Pola. Maximianus vollendete die bereits von Bischof Ecclesius um 540 begonnene und von dem Bankier Julianus mit 25 000 Solidi finanzierte Kirche des heiligen Vitalis, San Vitale. Der achteckige Zentralbau weist an seiner Ostseite eine reich gegliederte Chorpartie mit ausgeschiedenem Presbyterium, polygonal ummauerter Apsis, Pastophorien und seitlichen Anbauten auf. Das Innere ist von imposanter Wirkung: Acht mächtige Pfeiler von polygonalem Querschnitt bilden weit gespannte Arkaden und tragen den durchfensterten Tambour. Zwischen den Pfeilern greifen sieben exedrenartige »Stütznischen« aus jeweils drei übereinander gestellten Arkaden in die zweigeschossigen Umgänge ein und trennen so den zentralen Raumteil vom äußeren Oktogon. Im Gegensatz dazu ist das Presbyterium in ganzer Höhe in den zentralen Kuppelraum eingebunden. Der obere Umgang ist hier unterbrochen und öffnet sich durch Triforien zum Presbyterium hin. Von den reichen Inkrustationen, den Stuckdekorationen und vor allem von den überaus bedeutsamen Mosaiken des Presbyteriums und der Apsis haben sich beträchtliche Reste erhalten.
 
In der Hafenvorstadt Classis errichtete Maximianus, wiederum mithilfe des Bankiers Julianus, die Basilika des ravennatischen Erzheiligen Apollinaris, die um 549 geweihte Kirche Sant'Apollinare in Classe. Trotz gewisser baulicher Veränderungen bewahrt das Innere noch weitgehend einen authentischen Eindruck von der maßvollen Pracht und den klaren Proportionen einer ausgereiften christlichen Basilika. Von herausragender Bedeutung ist das Mosaik der Apsis, das eine Fülle theologischer Aussagen enthält und einen Höhepunkt christlicher Bildallegorese darstellt. Wie in San Vitale sind alle Bauteile - Säulen, Postamente und Kapitelle - aus Marmor von der Insel Prokonnesos gefertigt und stammen wohl direkt aus den Werkstätten Konstantinopels.
 
Obgleich Konstantin seine zwischen 324 und 330 neu errichtete Hauptstadt am Bosporus mit zahlreichen prächtigen Bauten und einer Fülle geraubter Kunstwerke ausstatten ließ, haben sich aus der Frühzeit Konstantinopels nur spärliche Reste der christlichen Sakralarchitektur erhalten. Die Basilika Johannes des »Vorläufers« - das heißt Johannes des Täufers -, die ein vornehmer Byzantiner namens Johannes Studios zwischen 453 und 463 als Teil eines Klosters errichten ließ, steht noch in Teilen aufrecht, sodass hier bestimmte Eigenarten des hauptstädtischen Kirchenbaus ablesbar blieben. Die dreischiffige Kirche mit Vorhalle, Vorhof, polygonal ummantelter Apsis und weitem Mittelschiff war eine Emporenbasilika. Die Säulen des erhaltenen linken Seitenschiffs aus thessalischem Marmor mit Kapitellen der Erbauungszeit tragen einen durchgehenden Architrav, während sich die Emporen mit Arkaden zum Mittelschiff öffneten. Vom prächtigen Fußboden sind beträchtliche Reste erhalten.
 
Ihren nie mehr übertroffenen Gipfelpunkt erreichte die christliche Architektur mit der Erbauung der Hagia Sophia. Die »Große Kirche«, die der heiligen Weisheit Christi geweiht war, wurde unter Kaiser Justinian I. von den Architekten Anthemios von Tralleis und Isidoros von Milet zwischen 532 und 537 erbaut und - nach Behebung erdbebenbedingter Schäden - 563 neu geweiht. In ihr sind der überkuppelte Zentralbau und der basilikale Längsbau zu einer Synthese verschmolzen. Die ungeheure Last und Schubkraft der auf vier mächtigen Pfeilern ruhenden Hauptkuppel wird durch ein ausgeklügeltes System einander bedingender und stützender Bauteile getragen, etwa über die östlich und westlich vorgelagerten Halbkuppeln mit den vier »Stütznischen« und den Längspfeilern sowie vor allem durch die vier gewaltigen, nur am Außenbau sichtbaren Strebepfeiler. Allein dadurch konnte der beabsichtigte Eindruck entstehen, als schwebe die Kuppel schwerelos über dem Raum. Die seitlichen Schiffe mit dem darüber liegenden Emporengeschoss durchqueren die Strebepfeiler in voller Länge, wodurch die Längsausrichtung des Hauptraums eine zusätzliche Betonung erfährt.
 
Schon die Zeitgenossen haben die außergewöhnliche Pracht der inneren Ausstattung nicht genug zu rühmen gewusst. Die reichen Marmorinkrustationen der Wände, die das konstruktive System auf das Geschickteste verbergen, und die Säulen bestehen aus Buntmarmoren, die man aus den berühmtesten Steinbrüchen der Alten Welt herbeischaffte. Von besonderer Kostbarkeit sind die in justinianischer Zeit neu erfundenen Kapitelltypen, deren Blattdekor sich wie feinstes Gespinst vom Kern abhebt und den beabsichtigten Eindruck der Körperlosigkeit unterstreicht. Bei alledem muss man sich vor Augen halten, dass die Hagia Sophia der Hauptschauplatz des byzantinischen Gottesdienstes, des kaiserlichen und bischöflichen Zeremoniells und des höfischen Gepränges war, das sich vor den Augen der Gläubigen in einer derart beeindruckenden Weise vollzog, dass mancher fremde Beobachter glaubte, bereits im Himmel zu weilen.
 
Prof. Dr. Arne Effenberger
 
 
Effenberger, Arne: Frühchristliche Kunst und Kultur. Von den Anfängen bis zum 7. Jahrhundert. Leipzig u. a. 1986.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Architektur - Historischer Überblick. — Architektur Historischer Überblick.   Als Synonym zur Baukunst bezeichnet die Architektur die älteste und am stärksten zweckgebundene aller bildenden Künste. Der Begriff geht auf das griechische Wort »architekton« zurück, von dessen Wurzel… …   Universal-Lexikon

  • Geschichte der Architektur — Sana a Die Geschichte der Architektur umfasst die technische, funktionale und ästhetische Entwicklung der Architektur und der Bauwerke über alle historischen Epochen vom Beginn menschlicher Bautätigkeit bis heute. Lange Zeit prägten sich dabei in …   Deutsch Wikipedia

  • ДАЙХМАНН — [нем. Deichmann] Фридрих Вильгельм (17.12.1909, Йена 13.09.1993, Ментана, близ Рима), историк христ. архитектуры и изобразительного искусства. Доктор honoris causa фак та протестант. теологии и почетный профессор (1954) Боннского ун та, почетный… …   Православная энциклопедия

  • Architekturepoche — Sana a Die Geschichte der Architektur umfasst die technische, funktionale und ästhetische Entwicklung der Architektur und der Bauwerke über alle historischen Epochen vom Beginn menschlicher Bautätigkeit bis heute. Lange Zeit prägten sich dabei in …   Deutsch Wikipedia

  • Kirche (Bauwerk) — Speyerer Dom, die größte noch erhaltene romanische Kirche der Welt …   Deutsch Wikipedia

  • Bildende Künste — Der Begriff Bildende Kunst hat sich seit dem frühen 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum als Sammelbegriff für die visuell gestaltenden Künste eingebürgert. Im Deutschen wird Bildende Kunst – anders als im Französischen (les Beaux Arts), im… …   Deutsch Wikipedia

  • Venetia — Venedig …   Deutsch Wikipedia

  • Venezia — Venedig …   Deutsch Wikipedia

  • Venezia Santa Lucia — Venedig …   Deutsch Wikipedia

  • Bildende Kunst — Der Begriff bildende Kunst hat sich seit dem frühen 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum als Sammelbegriff für die visuell gestaltenden Künste eingebürgert. Anders als in anderen europäischen Ländern die Schönen Künste sprachlich… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”